Markttiming und Stockpicking funktionieren zuverlässig nur im Rückspiegel
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten einige Kommentare darüber gelesen, dass das Börsenjahr 2020 das perfekte Beispiel dafür ist, dass Markttiming und Stockpicking funktionieren. Man konnte früh absehen, welche Aktien sich als die Gewinner und Verlierer der Pandemie entpuppen würden. Also war es eine überlegene Strategie gegenüber dem Index, die Gewinner zu wählen und die Verlierer auszusortieren. Tatsächlich haben einige aktive Manager mit einem konzentrierten Portfolio ihre Benchmark deutlich outperformt.
Rückblickend betrachtet sind auch die Kurse vor einem Jahr klare Einstiegskurse gewesen. Doch wussten wir zu dem Zeitpunkt auch, wie sich die Dinge entwickeln würden? Wer im letzten Jahr Handelsentscheidungen treffen musste, hatte mit einem hohen Maß an Unsicherheit zu tun. Die jetzt abzusehende Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität stand keinesfalls fest. Der Markt glich insbesondere im März 2020 einem fallenden Messer, einen klaren Fahrplan zur Bekämpfung der Pandemie gab es noch nicht, geschweige denn zugelassene Impfstoffe.
Die Kursentwicklungen an den Märkten passten sich der Nachrichtenlage sehr schnell an oder nahmen diese sogar vorweg. Wenn es wirklich so offensichtlich war, wie sich die Dinge entwickeln würden, hätten nicht noch mehr institutionelle Anleger*innen stärker davon profitieren müssen?
Die wenigsten unter uns sind professionelle Anleger*innen. Nur weil ein Warren Buffett in der Lage ist, mit so einer Situation umzugehen und trotz Fehlentscheidungen (er wählte rückblickend einen “schlechten” Zeitpunkt, seine Positionen an amerikanischen Fluglinien abzustoßen) als Gewinner aus so einer Entwicklung hervorzugehen, bedeutet das nicht, dass jede*r, der durch Glück, Mut oder Zufall ein gutes Anlageergebnis in 2020 erreicht hat, zuverlässig in der Zukunft die Marktentwicklung schlagen wird.
Wenn wir nämlich statt in den Rückspiegel nach vorne schauen, ist die Frage nach der weiteren Entwicklung schon deutlich schwieriger. Wer hätte nach der starken Erholung der Märkte in 2020 an eine Fortsetzung der Aufwärtsbewegung geglaubt? Auch wenn in einigen Teilmärkten Korrekturen eingetreten sind, zeigen sich die Börsen trotz Einschränkungen in der Wirtschaftsaktivität erstaunlich robust. Man hat das Gefühl, die Marktentwicklung hätte eine Normalisierung und auch einen bevorstehenden Boom längst vorweg genommen. Die weiterhin hohen Liquiditätsbestände der Anleger, die auf Kurskorrekturen warten und die Skepsis gegenüber den Bewertungen lassen viele Indizes an der sogenannten “Mauer der Unsicherheit” weiter klettern.
Wenn ich etwas aus der Entwicklung in 2020 verinnerlicht habe, ist es die Erkenntnis, dass ein realisierter Verlust aus einem panikartigen Verkauf bei dem vorhandenen Markttempo kaum aufzuholen ist. Oder wie André Kostolany sagte: “Wer den Weizen nicht hat, wenn er fällt, der hat ihn auch nicht, wenn er steigt.”
Wenn Du investiert warst – wie hat sich das für Dich angefühlt? Ich kann mich an eine große Verunsicherung, insbesondere im Februar, März und auch im April 2020 erinnern. Die Ereignisse waren überwältigend und die Kapitalmärkte waren teilweise von Irrationalität geprägt. Die allgemeine Unsicherheit im privaten als auch im beruflichen Bereich haben sich meiner Meinung nach gegenseitig verstärkt, sodass bei vielen Orientierungslosigkeit herrschte. Mich haben in dieser Zeit viele Nachrichten und Fragen erreicht, die sich darum drehten, was denn in solch einer Situation zu tun sei: Soll ich mein Geld von der Bank holen? Soll ich Gold kaufen? Wenn ich einigen empfohlen habe, dass dies wahrscheinlich die beste Zeit sei, um breit gestreut in Aktien zu investieren, klingt das erst einmal verrückt. Warum es so schwer ist, gerade in einer solchen Zeit so einem Rat zu folgen, darauf gehe ich übrigens in meinem Artikel Geldentscheidungen mitten in einer Krise – Finanzplanung360 ein.
Was war eigentlich der Grund für die erhöhte Volatilität an den Aktienmärkten und in den sogenannten Risiko Anlageklassen? Mit einem Wort: Deleveraging. Was ist damit gemeint? Portfolios, die durch Kreditvereinbarungen gehebelt und mit einer Nachschusspflicht versehen waren, kamen in Bedrängnis, da zusätzliches Kapital aufgrund des hohen Tempos der Marktbewegungen oft nicht angeschafft werden konnte. Als Folge mussten alle Anlagen oder Risikopositionen, die zu Kontoguthaben in US-Dollar gemacht werden konnten, liquidiert werden. Warum erfolgte eine “Flucht” ausgerechnet in den US-Dollar? Die Mehrheit aller Schulden auf der Welt ist in US-Dollar denominiert bzw. wird in US-Dollar umgerechnet. Um diese Kreditverpflichtungen zu erfüllen, wurde also alles zum bestmöglichen Preis verkauft: Gold, Währungen, Kryptowährungen, Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und Aktien. In derartigen Zeiten zeigt sich, welche Hände zittrig sind und welche sogar gegen den Trend bereit und in der Lage sind, ihr Risiko zu erhöhen.
Viele potentielle Anleger*innen, die zuvor weder emotional noch materiell zu stark involviert waren, haben diese Kursentwicklung als starke Kaufgelegenheit wahrgenommen und entsprechend gehandelt. Allen Anleger*innen, die sich für ein Investment und für “Augen zu und durch” entschieden haben, kann ich nur ein Kompliment machen, vor allem, wenn sie dann auch noch investiert geblieben sind. Möglicherweise gab es keinen besseren Einstiegszeitpunkt seit der Finanzkrise 2008/2009 als diesen März 2020, besonders bei einer so schnellen und nachhaltigen Erholung, wie wir sie gesehen haben. Ich habe auch einige Gespräche mit Anleger*innen geführt, denen zwar die Gelegenheit bewusst gewesen ist, die aber letztendlich den Zeitpunkt zu investieren, verpasst haben bzw. erst im Sommer bzw. Spätsommer in den Markt eingestiegen sind, als die Nachrichtenlage auch bezüglich eines Impfstoffes wieder etwas optimistischer wurde.
Rückblickend betrachtet wirkt alles so einfach. Jetzt befinden wir uns allerdings nicht mehr im März 2020, sondern im Mai 2021 und das Jahr geht mit Riesenschritten voran. Was ist die Lehre, die wir aus den Geschehnissen an den Märkten ziehen? Obwohl es im Nachhinein offensichtlich aussieht, ist das Markttiming, also der Einstieg zu einem optimalen Zeitpunkt, schwierig bis unmöglich. Bereits ab April, Mai oder Juni gab es genügend Gründe zu glauben, dass es sich bei den Börsenbewegungen nicht um eine Einbahnstraße handeln könne, sondern der nächste Einbruch sicher kommen müsse, da sich die Börse völlig von der Realwirtschaft abgekoppelt hatte. Heute wissen wir: Die zweite Welle und auch die dritte Welle sind gekommen, aber der Gesamtmarkt hat sich darauf eingestellt und der Wunsch der Anleger*innen, weitere Anstiege nicht zu verpassen, war größer als die Angst vor der Unsicherheit und allen Horrorszenarien der Crashpropheten. Somit steht fest: Märkte sind kompliziert und es ist auf Dauer kaum möglich, Markttiming zu betreiben.
Was ist Dein Plan für die nächsten Turbulenzen, die früher oder später auftreten werden? Was wirst Du tun, wenn Deine Investmentergebnisse zumindest kurzfristig nicht zufriedenstellend sind und Du Zweifel bekommst, ob Du mit der vorhandenen Strategie Deine Investmentziele auf mittlere bis lange Sicht überhaupt erreichen wirst? Bist du genug von Deinem eigenen Konzept überzeugt, so dass Du diesem treu bleiben kannst oder wäre es möglich, dieses ggf. zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt während einer zukünftigen Krise umzuwerfen?
Ich möchte an dieser Stelle ein Geständnis machen:
Ich habe zwar versucht, etwas an weiterem Risiko zu nehmen, aber mein Risikoappetit war ehrlich gesagt im März 2020 weitgehend erschöpft und ich habe mich eher darauf konzentriert, meiner Anlagestrategie treu zu bleiben. Dennoch werte ich es als Erfolg, dass ich trotz einiger Bedenken und Zweifel die Nerven behalten habe. Ich habe gemerkt, dass es mir teilweise nicht leicht fiel, meinen Fokus von der kurzfristigen Entwicklung zu lösen. Geholfen haben mir dabei vor allem die breite internationale Streuung über verschiedene Werttreiber in meinem Portfolio sowie der Plan, dieses Portfolio in der Zukunft weiter auszubauen. Es bestand somit kein Bedarf für den Umbau oder einen Strategiewechsel.
Eine weitere Erkenntnis, die ich aus den Geschehnissen des Jahres 2020 gelernt habe: Der Cost-Average Effekt, also der durch regelmäßigen Einstieg eintretende Durchschnittskosteneffekt, ist mehr als reine Verkaufsrhetorik. Tatsächlich geht es bei der Auswirkung dieses Effektes nicht um Mathematik, denn ein früherer Einstieg ist statistisch gesehen einfach erfolgreicher als ein schrittweiser Einstieg über die Zeit. Es geht zumindest für mich dabei um den psychologischen Effekt und die Möglichkeit, Kurs zu halten. Unser Gehirn arbeitet mit einem Belohnungssystem und wenn es uns psychologisch hilft, dass wir regelmäßig und stetig investieren, egal bei welchen Kursen, dann ist dies wahrscheinlich für mehr als 80% der Anleger das richtige System. Deshalb habe ich Anfang 2021 meine regelmäßigen Investments weiter erhöht und automatisiert. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt für mich ist das Thema Diversifikation, und das nicht im Sinne einer Investition in z.B. einen marktbreiten Index wie dem MSCI World – Diversifikation ist im Grunde genommen das Einzige, was Anleger*innen gratis für sich beanspruchen können und gleichzeitig das beste Mittel zur Risikosteuerung. Die Verteilung des Risikos hilft mir dabei, meiner Strategie treu zu bleiben. Details hierzu erläutere ich gerne im Rahmen einer persönlichen Beratung unter Berücksichtigung der individuellen Situation.
Kommen wir nochmal zu dem häufig kontrovers diskutierten und beliebten Thema Einzeltitelauswahl oder “Stockpicking”. Die Gedanken hierzu lassen sich ebenfalls auf die Auswahl geeigneter Manager*innen übertragen, welche wiederum die Einzeltitelauswahl vornehmen. Wenn man die Performance einer Aktie wie Tesla oder auch die Wertentwicklung des Bitcoin in 2020 und im 1. Quartal 2021 mit einem breit gestreuten Portfolio vergleicht, sieht die Performance des diversifizierten Portfolios für den selben Zeitraum gegebenenfalls blass aus. Vor diesem Hintergrund sollte man sich aber einiger Fakten in Bezug auf die Einzeltitelauswahl bewusst sein:
- Man geht ein konzentrierteres Risiko ein.
- Erfolge können auf Zufall beruhen.
- Bei der Auswahl aussichtsreicher Titel steht man im Wettbewerb zu professionellen institutionellen Investoren und Vermögensverwaltern, die einem in den verfügbaren Ressourcen und Technologien, wahrscheinlich auch in Erfahrung, Fähigkeiten und Kompetenzen überlegen sind. Es gilt zu bedenken: In Summe entsprechen alle aktiven Handelsentscheidungen einem Nullsummenspiel im Verhältnis zur Marktentwicklung. Das heißt, die überdurchschnittliche Performance des Einen ist die unterdurchschnittliche Performance eines Anderen.
- Bei einer aktiven Handelsstrategie verschiebt sich das Bild weiter zugunsten von professionellen Anleger*innen. Denn Transaktionskosten und Steuern nagen am investierten Kapital und behindern den Zinseszinseffekt. Außerdem verpasst man bei dem Versuch, günstige Einstiege und Ausstiegszeitpunkte zu treffen, auch bei Einzeltiteln möglicherweise einen großen Teil der besten Entwicklungen.
- 40% aller an den Börsen gelisteten Unternehmen durchlaufen in ihrem Lebenszyklus einen Einbruch von 70% oder mehr und erholen sich davon nie wieder. Weitere 20% enden als Totalverlust. Ein Großteil der Indexgewinne der letzten 120 Jahre stammt von einer Minderheit von 10-20% der Unternehmen. Diese im Voraus auszuwählen, ist objektiv unmöglich. Auch auf die neuesten Technologien und die größten Unternehmen unserer Zeit zu setzen, ist keine Garantie für zukünftige Gewinne, wie Studien belegen.
Statt sich also die Illusion zu machen, man könne immer wieder verlässlich die Nadel im Heuhaufen finden, empfiehlt es sich den ganzen Heuhaufen zu kaufen. Eine Strategie, die beispielsweise der norwegische Staatsfonds verfolgt, in dem er ca. 2% der gesamten europäischen Marktkapitalisierung hält. Es wird ebenfalls breit gestreut in Unternehmen weltweit investiert, wobei die Investments seit 2006 auch ethisch geprägt sind. Meiner Meinung nach handelt es sich hier keinesfalls um “dummes Geld”, sondern um eine echte Erfolgsgeschichte, die zeigt, wie stetige Investitionen und ein disziplinierter Anlageprozess sich über die Zeit auszahlen können.
Ein Gegenargument der „Stockpicker“ möchte ich hier gerne noch anführen: Ja, es kann deutlich mehr Spaß bringen, wenn man sich mit seinen Zielinvestments identifiziert und das kann dabei helfen, eine bessere emotionale Bindung zu den Investments und damit Stabilität in den Anlageentscheidungen zu haben. Diese Strategie hat allerdings nur Erfolg, wenn die gewählten Titel zu den Qualitätsunternehmen gehören, die sich von einem Crash erholen und wieder zu neuen Höhen aufschwingen. Wenn die Auswahl signifikant aus Titeln besteht, die langfristig nicht zu den Wachstumstreibern der Weltwirtschaft gehören, und statistisch gesehen liegt die Wahrscheinlichkeit wie oben beschrieben dafür bei deutlich über 50%, dann wird sich ein möglichst breit gestreutes Portfolio sich besser entwickeln. Für den Nervenkitzel empfiehlt es sich eher, einen übersichtlichen Anteil des Gesamtportfolios von vielleicht 10% in die eigenen Hände zu nehmen.
Ich bin der Überzeugung, dass für den Großteil von Investor*innen, die die Geldanlage nicht als Hobby betrachten und dort nicht übermäßig Zeit investieren möchten, ein breit gestreutes Portfolio wesentliche Vorteile bietet, um die Beteiligung an produktivem Kapital langfristig zu sehen und der eigenen Strategie treu zu bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, auf das falsche Unternehmen bzw. die falschen Unternehmen zu setzen, ist ansonsten relativ hoch. Dadurch das aus meiner Sicht Wesentliche, nämlich die Vereinnahmung der Risikoprämie für weltweite unternehmerische Beteiligungen, zu verpassen, ist unnötig.
Bei der Manager*innenauswahl wird das obige Problem nur verlagert. Selbst wenn es gelingt, eine*n Manager*in zu finden, der eine Outperformance nach Kosten erzielt (und zwar vorausschauend, nicht rückwirkend): Wann ist der Zeitpunkt diesen auszutauschen, wenn er die Outperformance nicht mehr liefert? Der (Out-)Performance hinterherzujagen, hat sich schon oft als falsche Strategie erwiesen, denn der Regression zum Mittelwert kann sich kaum jemand widersetzen. Zudem müssen wirklich erfolgreiche Manager*innen beweglich bleiben und ihr Anlagevolumen begrenzen. Hier gibt es einen Interessenskonflikt zwischen potentiellen Erträgen für den Fondsanbieter und der Performance.
Damit gilt aus meiner Sicht festzuhalten: Markttiming und Stockpicking sind nicht die geeigneten Strategien für eine langfristige, weitgehend automatisierte Vermögensplanung. Sie sind auch keine zu empfehlende Taktik für wesentliche Teile des Gesamtvermögens. Auf das Rebalancing als geeignete Taktik werde ich in einem künftigen Artikel eingehen.
Als wesentliche Erkenntnis aus meiner Betrachtung und meiner Erfahrung empfehle ich einen Finanzplan aufzustellen, der sich auf die langfristigen Ziele konzentriert und auch Phasen irrationaler Übertreibungen berücksichtigt, die jederzeit wieder auftreten können. Der Verfasser steht für einen Austausch zur Verfügung und freut sich auf die Kontaktaufnahme.
Unternimm den ersten Schritt gleich heute!
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