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Die 4% Regel – Die Bedeutung und eine moderne Interpretation

Dave Ramsay (ein in den USA populärer Radiomoderater) hat es wieder getan: Er erklärte, man könne aus einem Aktienportfolio, welches nach seiner Aussage 10-12% jährliche Rendite erwirtschaftet, 8% jährlich als Rentenzahlungen inflationsbereinigt entnehmen, und würde dabei nur ein geringes Risiko tragen, dass einem das Geld ausgeht.

In diesem Artikel wollen wir die folgenden Fragen untersuchen:

  • War das eine unseriöse Empfehlung, oder wo hat der Moderator mit seiner Aussage sogar ein Stück weit recht?
  • Was bedeutet die 4% Regel wirklich und wie sollte man diese in seiner privaten Finanzplanung berücksichtigen?
  • Wie können Berater und angehende Ruheständler mit dem Wissen um die 4% Regel vorgehen?
 
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Die Geschichte der 4% Regel

Diese wurde als statistische Regel von William (Bill) P. Bengen im Jahr 1994 entwickelt und in der Folge verfeinert. Zunächst einmal sollte man auf die Voraussetzungen der 4% Regel schauen.

  1. Zunächst einmal verwendete Bengen historische Daten von 1926 bis 1992, mit der Schlussfolgerung, dass Renditen und Entwicklungen der Vergangenheit auch für die Zukunft wertvolle Hinweise liefern. Hier muss man nur in jedes Kundeninformationsblatt schauen, wo einem immer wieder dieser Satz begegnen wird: Vergangene Ergebnisse sind keine zuverlässige Prognose für die Zukunft.

  2. Bengen betrachtete für den Ruhestand einen 30 Jahres Zeitraum, um die voraussichtliche Lebenserwartung abzudecken. Er ging also von einem klassischen Ruhestand mit Erreichen des Rentenalters aus. Insbesondere von der “F.I.R.E“ Bewegung (finanzielle Unabhängigkeit, früher Ruhestand) wird die 4% Regel heute verwendet, obwohl statistisch gesehen, die Erfolgsquote bei Entnahmezeiträumen, die 40 oder 50 Jahre und mehr betragen, deutlich geringer ist. Zu berücksichtigen ist hier ebenfalls die gestiegene Lebenserwartung. Statistisch gesehen mag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 83 Jahren liegen, allerdings wird es künftig immer mehr Menschen geben, die 100 Jahre und älter werden, was die Planungen um zwei Jahrzehnte oder mehr verlängern kann.

  3. Bengen wählte als Ausgangslage ein 60/40-Portfolio: Das bedeutet ein Portfolio, das zu 60% aus Aktien und zu 40% aus festverzinslichen Wertpapieren besteht. Weiter betrachtete er nur die Entwicklung des US-Marktes. Diese mag auch in den letzten 10 Jahren das Maß aller Dinge sein, historisch hat sich aber gezeigt, dass eine internationale Diversifizierung deutliche Vorteile bei dem Risiko und den zu erwartenden Schwankungen des Gesamtportfolios bietet.

  4. Bengen berücksichtigte keine Kosten der Anlagestrategie. Auch wenn es heute „demokratische“ Anlagemöglichkeiten und Preismodelle gibt, die unterhalb von 0,5% pro Jahr mit Vermögensverwaltungscharakter liegen können, so werden die Portfolios der meisten Kunden, die einen persönlichen Ansprechpartner haben, heute oftmals darüber liegen. Entnahmepläne bei den häufig so hochgelobten Versicherungslösungen haben häufig Kosten von 2% jährlich zzgl. der Kosten der individuellen Investments. Mit steigenden Kosten sinken die Wahrscheinlichkeiten für die lebenslange Möglichkeit von inflationsgesicherten, festen Entnahmeraten, insbesondere bei den oben erwähnten, möglicherweise längeren Laufzeiten (Lebenserwartung plus früherer Ruhestand).

Es geht hier nicht darum, die 4%-Regel zu zerstören.  Es geht darum, dass für die Finanzplanung viel mehr zu berücksichtigen ist, als einer Daumenregel zu folgen, die im Zweifel zu aggressiv oder zu vorsichtig kalkuliert sein kann. Märkte können volatil sein, und insbesondere die Entwicklung in den ersten Jahren ist wesentlich entscheidend dafür, wie erfolgreich die Strategie umgesetzt werden kann. Im Englischen bezeichnet man dies als „Sequence of return risk“. Im Deutschen gibt es das Wort „Renditereihenfolge-Risiko“. Hierauf möchte ich nochmals eingehen.

Eine negative Aktienmarktentwicklung, im Englischen „Drawdown“, meint die Kurskorrektur, die ein Portfolio von seinem Höchststand bis zu einem Zwischentief erlebt. Nehmen wir den Fall, dass das Gesamtportfolio zu 100% in Aktien investiert wäre (bedeutet in Theorie die höchsten langfristigen Renditeaussichten), dann würden im Falle eines Marktrückganges, statische Entnahmen das Portfolio zusätzlich weiter reduzieren. Hierbei handelt es sich um einen umgekehrten Cost-Average-Effekt, denn die Entnahmen sind in der Regel festgelegte Summen, die sich bei niedrigeren Wertpapiermärkten entsprechend stärker auswirken. Was ausgegeben ist, kann sich nicht mehr erholen. Die Volatilität in einem Portfolio reduziert in diesem Fall die Wachstumsrate und den Zinseszinseffekt.

Erste Anmerkung, auf die wir später nochmals eingehen: Flexible Entnahmen können hilfreich sein.

Verlierst Du 30-50% durch einen Drawdown und gibst dann in den folgenden 10 Jahren 30-50% durch Entnahmen aus, dann bleibt nicht genug Substanz übrig, damit das Portfolio sich erholen kann.

Halten wir fest: Erträge von erwartet 7-10% p.a. treten nicht linear auf. Risiko bedeutet, wir wissen nicht, wie die Ergebnisse verteilt sind. In 10 Jahren ist eine Seitwärtsbewegung möglich, genauso wie eine Verdreifachung des Kapitals. Wenn eine Renditeerwartung da ist, gibt es auch ein Risiko, und das sollte man in der Planung berücksichtigen. Ergebnisse in der Zukunft haben eine zufällige Verteilung, der Anlagehorizont spielt daher eine entscheidende Rolle beim Inflationsschutz.

Eine Rückspiegelbetrachtung hilft nicht zwingend weiter. Faktoren, die in der Vergangenheit besser liefen als der Gesamtmarkt, sind keine zuverlässigen Renditetreiber für die Zukunft. Dies gilt auch für statistisch langfristig nachgewiesene Faktoren wie Size, Value, Quality, einer internationalen Streuung und Berücksichtigung der Emerging Markets. Man darf diese Faktoren gerne berücksichtigen, sollte sich aber nicht allein darauf stützen. Ansonsten kann dies die Aussichten auf stabile, inflationsangepasste Entnahmen in der Zukunft gehörig durcheinanderbringen. 

Was jetzt folgt, hört sich erst einmal intuitiv merkwürdig an: Ein längerer Anlagehorizont im Hinblick auf die Entnahmen (z.B. bei frühem Ruhestand) bedarf einer niedrigeren, festen Entnahme in den Anfangsjahren. Der Schlüssel ist hier Flexibilität. Warum? Um die höheren Aktienquoten zu fahren und auszuhalten, die benötigt werden, um einen langfristigen Inflationsschutz zu haben. Hohe Anleihequoten bieten zwar Planungssicherheit. Studien haben aber gezeigt, dass Aktienquoten nicht unter 35% liegen sollten und dass in den allermeisten Fällen eine Aktienquote unter 50% nicht vorteilhaft war.

Dies hört sich für viele junge Menschen mit kleinen Vermögen unvorstellbar defensiv an. Aus der Erfahrung heraus liegen die Aktienquoten von großen Privatvermögen allerdings häufig unter 25%. Schaut man sich die Aktienquoten von vielen Lebensversicherern an, liegen diese oftmals sogar nur im einstelligen Prozentbereich, teilweise sogar unter 5%.

Zu beachten ist außerdem, dass Risikotoleranz sich mit der Marktvolatilität verändert. Wenn die Märkte steigen, wünschen sich Anleger mehr Risiko, wenn sie fallen, wünschen sie sich weniger Risiko. Zyklische Änderungen der Risikotoleranz und Anpassungen der Aktienquote beeinträchtigen das Ergebnis von Portfolios massiv. Studien zeigen, dass Anleger, die sogenannte Target-Date-Funds benutzten (diese steuern die Aktienquote automatisch und im Hinblick auf den nahenden Ruhestand) und ihre Portfolios unangetastet ließen, bessere Ergebnisse als Anlageprofis erzielten, weil sie keine Veränderungen vornahmen oder darüber im Zweifel gar nicht nachdachten.

Research zeigt außerdem, dass ältere Anleger, die über mehr Erfahrung verfügen, aktiver handeln. Die Beobachtung des Verhaltens von Anlegern (Behavioral Finance) zeigt, dass Personen, die näher an ihren Ruhestand kommen, sich stärker auf ihre kurzfristigen Ergebnisse konzentrieren – menschlich verständlich. Daher ist es gut zu überlegen, älteren Anlegern zu einem höheren Risiko / Aktienquote zu raten, da sie die möglichen Mehrrenditen vielleicht nicht vereinnahmen können. Denn die Volatilität in Verbindung mit dem negativen Verhalten stört ihre Performance stärker, als positive Entwicklungen dies ausgleichen können.

Vor dem Hintergrund, dass wieder (reale) Renditen mit Anleihen zu erzielen sind, ist es lohnenswert zu ergründen, wie hoch die Risikotoleranz wirklich ist. Eine hohe Aktienquote ist kein Selbstzweck. Selbst wenn ein 100% Aktienportfolio theoretisch andere Portfolios langfristig geschlagen hat, ist es in der Praxis nicht für alle Anleger realistisch bzw. empfehlenswert, dies zu halten. Menschen sind keine Roboter und treffen Entscheidungen komplett rational unter Risiko/Rendite-Gesichtspunkten: Sie haben Emotionen und sie handeln emotional.

Treten wir noch mal einen Schritt zurück und erwähnen, dass es wesentlich ist, ob wir nur den risikobehafteten Teil eines Gesamtvermögens betrachten oder das gesamte Vermögen. Hier ist ein 80/20-Portfolio, wobei 20% für einen risikofreien Teil stehen, in der Regel immer vorzuziehen, da ein Portfolio mit einer 100%-igen Aktienquote unter Risiko/Rendite-Gesichtspunkten aus der Historie keinen hohen Mehrwert bietet.

Entscheidend ist eine mögliche Flexibilität. Dann ist es auch möglich, höhere Entnahmeraten als 4% von seinem Ruhestandsportfolio zu entnehmen.
Die 4%-Regel ist eine mathematische Vereinfachung und sollte nicht als feste Regel oder Strategie für Ruhestandsentnahmen betrachtet werden.

4-Prozent Regel - Felixibilität


Alternative Ansätze

Für alternative Ansätze kommt es immer sehr auf den Einzelfall an, z.B. wie viele feste Zusatzeinkommen wie Altersrenten, private Renten etc. bestehen.

Du kannst Dir die Frage stellen: In welchem Alter kannst Du Deine finanziellen Mittel am besten nutzen?
Somit könnte es sinnvoll sein, mit einem höheren Einkommen, aber geringerer späterer Anpassung zu starten.

Wenn Du noch über ein laufendes Arbeitseinkommen verfügst, das Du eher wie ein Hobby betrachtest, kannst Du auf der anderen Seite mit niedrigeren Entnahmen planen, die dann mehr Raum für Anpassungen in der Zukunft lassen.

Allgemein kann die automatische Anpassung an die Inflation aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt werden. Studien zeigen, dass Ausgaben nicht zwingend an die Inflation angepasst werden müssen, wenn z.B. erhöhte Gesundheits- und Pflegekosten (noch) keine Rolle spielen.

Auf die gesetzliche Rente wird gerne geschimpft, und doch haben viele Ansprüche erworben. Wir wissen nicht, in welchem Maße künftig eine Inflationsanpassung bei der gesetzlichen Rente erfolgen wird, aber zurzeit darf man weiterhin von einem Inflationsausgleich ausgehen. Ein Rentenaufschub kann aus diesem Grund eine gute Möglichkeit sein, um höhere Anwartschaften zu erreichen und Rentenkürzungen zu vermeiden.

Kommen wir zu der Möglichkeit, die Entnahmeraten bei entsprechender Dynamik des Portfolios nach oben anzupassen.
Wenn z.B. sich ein Ruhestandsportfolio vom 55. Lebensjahr bis zum 65. Lebensjahr verdoppelt, kann man die Entnahmerate selbstverständlich auf das neu erreichte Level anpassen. Man kann außerdem flexible Entnahmen tätigen oder einen Teil des Gewonnenen dann u.a. in Anleihen investieren oder einen „Fund“ bilden, der die geplanten Entnahmen der nächsten 5 Jahre oder 10 Jahre abdeckt.

Eine vergleichbare Strategie ist, 4% vom aktuell vorhandenen Restvermögen zu entnehmen, wenn dieses dynamisch gewachsen ist. Für die Entnahmen kann man zusätzlich einen Floor (Mindestentnahmen) und einen Cap (Maximalentnahmen) vorsehen. Ein entsprechendes Liquiditätskonto kann sinnvollerweise im Rahmen eines regelmäßigen Checks und Rebalancings aufgefüllt werden.

Gleiches gilt, wenn das Vermögen durch Kurskorrekturen deutlich gesunken ist. Wenn unsere Entnahmen unter den ursprünglichen Erwartungen bleiben, kann das zu unerfreulichen Einschränkungen führen. Alles eine Frage der Flexibilität: Eine Anpassung der Entnahmeraten auf 4% des aktuellen Vermögens kann zumindest sicherstellen, dass einem das Geld nicht ausgeht.   

Auch steigende Entnahmeraten können mit fortschreitendem Alter und geringerer Lebenserwartung ein sinnvolles Konzept sein. Während mit 60 das Geld noch für mehr als drei Jahrzehnte reichen sollte, sieht die Sache schon anders aus, wenn Du das 80. Lebensjahr überschritten hast.

Es kann auch Sinn machen, mittels einer Sofortrente einen Teil des Langlebigkeitsrisikos an eine Versicherung auszulagern, sich damit ein Basiseinkommen zu sichern und einen Kapitalstock weiter zur freien Verwendung zu haben.
Damit bleibt man auch für die Bereiche Vermögensweitergabe zu Lebzeiten, Ausgaben nach freiem Ermessen, Wohltätigkeit und Nachlassplanung flexibel.

4-Prozent Regel - Portfolio

 

Meine bevorzugte Strategie ist es, den risikofreien Teil und den risikobehafteten Teil seines Portfolios getrennt zu betrachten und die Entnahmen aus dem risikofreien Teil zu tätigen. Man unterbricht für den risikofreien Teil zwar den Zinseszinseffekt. Allerdings finde ich es beruhigend, ein Ausgabenbudget für mindestens die nächsten 5 Jahre zu haben, für das die Schwankungen des Marktes keine Rolle spielen. Das sollte jeder für sich individuell entscheiden, aber es sollte so gewählt sein, dass man an seinem risikobehafteten Teil möglichst wenig aktive Einflussnahme vornimmt, außer im Rahmen eines Rebalancings. Die meisten Stürme an den Börsen gehen vorüber und es bieten sich regelmäßig Gelegenheiten, das Liquiditätskonto wieder aufzufüllen.  

Ich hoffe, ich konnte Dir einen Einblick in die 4% Regel und neue Betrachtungsweisen geben. Wenn genügend Flexibilität vorhanden ist, können bei entsprechender Marktperformance auch dauerhaft höhere Entnahmen getätigt werden.
Es kann von Vorteil sein, risikofreie Mittel für die Ausgaben der nächsten 24-36 Monate vorzuhalten, um nicht auf die Investments, die natürlichen Schwankungen unterliegen, zugreifen zu müssen.

Diversifikation ist immer zu empfehlen, dies gilt für die Anlagen, aber auch für die Einkommenströme und hier können sowohl Mieten, kapitalgedeckte Renten als auch die gesetzliche Rente nützliche Bausteine sein, um nicht nur von Deinen Investments abhängig zu sein.

Wenn Du Dir noch unsicher bist, wie Du Deine Ruhestandsplanung gestalten sollst, empfiehlt es sich immer, eine zweite Meinung einzuholen. Schwerwiegende Entscheidungen sollten nie unter Zeitdruck getroffen werden. Und es gibt keine Knappheit oder ein Gebot der Eile bei guten Investmentangeboten.  

Unternimm den ersten Schritt gleich heute!

Buche ein unverbindliches Kennenlerngespräch mit mir und lass uns besprechen wie ich Dir mit Deiner Ruhestandsplanung helfen kann.